DOMBROWSKI

Dombrowski mochte seinen Namen nicht. Er fand ihn zu dumpf und zu plump. Sein bester Freund sagte ihm, es ist doch nur ein Name. “Du hast gut reden”, antwortete Dombrowski. Sein Freund war Franzose und hieß François Loreau. “Dein Vorname klingt galant und dein Nachname hört sich nach einem Fluss an, der sich mondän durch die Landschaft windet. Mein Name klingt, als würde man mit einem Hammer einen Nagel in die Wand hauen und sich dabei aus Versehen voll auf den Daumen kloppen.” François fand das übertrieben, aber er kannte ja Dombrowski. 
Komisch war, dass alle, die mit ihm zu tun hatten, immer nur Dombrowski sagten, wenn sie ihn ansprachen oder über ihn sprachen. Aber das störte Dombrowski weniger, denn seinen Vornamen mochte er auch nicht. 

Wenn er in ein Restaurant ging war es ihm wahrscheinlich zu voll. Oder zu leer und ihm deuchte, der Grund könne nur die schlechte Küche sein. Was ihm natürlich erst nach der Bestellung einfiel, so dass er dann entsprechend missmutig auf sein Essen wartete. Oder ihm war die Musik zu laut. Oder die anderen Gäste. Kann auch sein, dass ihm die Bedienung zu langsam war oder ihm ein Bild an der Wand gegenüber überhaupt nicht gefiel. Er würde fragen, ob man es vielleicht abhängen oder abdecken könnte. Oder er stand auf und hängte der Einfachheit halber gleich selbst seine Jacke drüber. 

Dombrowski. So war er eben. Bis zu dem Tag, als die einbeinige Frau plötzlich vor ihm stand. 

Das war im Supermarkt und sie lächelte ihn an. Dombrowski blieb wie vom Schlag getroffen stehen. Er machte die Augen zu. Und hielt sie einen Moment zu. Er dachte: Gleich, wenn ich sie wieder aufmache, ist sie weg. Denn mich lächelt niemand an. Schon gar nicht eine Frau mit so einem bezaubernden Gesicht. Eine Fata Morgana also. Doch als er sie wieder auf machte stand sie immer noch da. Auf einem Bein. Was ihm jetzt erst auffiel, denn er war so eingenommen von ihrer charmanten Art. Jetzt lächelte sie ihn noch breiter an und sagte: “Ich wollte sie höflich bitten, ob sie mir vielleicht behilflich sein würden, meine Sachen in’s Auto zu tun.“ 

Dombrowski war verwirrt. Nein, er war maximal verwirrt. „Ich liebe sie, ich möchte sie heiraten.“ 

„Ja, wahrscheinlich,“ sagte sie schmunzelnd, „aber vielleicht könnten Sie mir doch zunächst noch helfen, meine Sachen in’s Auto zu bringen?“ Dombrowski zuckte zusammen. Er dachte, er hätte das nur gedacht. Aber er muss es wohl doch gesagt haben. Ihm war noch nie was peinlicher. „Äh, ja, selbstverständlich.“ 

Als alles eingeladen war fasste er sich ein Herz und fragte: „Ich habe sie noch nie hier gesehen, sind sie neu hinzugezogen?“ Sie bejahte und Dombrowski berührte sie spontan an der Schulter, nahm die Hand aber sofort wieder weg und sprach: „Ich möchte sie auch gern um etwas bitten.“ „Na?“ „Ich möchte sie auf einen Kaffee hier im Supermarkt-Bistro einladen. Natürlich nur, wenn sie mögen und ihre Zeit es zulässt.“ „Ja das tut sie, dann wollen wir mal.“ entgegnete sie. 

Dombrowski war aufgeregt und sie bemerkte es. Als es zum duzen kam sagte sie ihren Namen: Angelique. „Ich wusste es, ich brech zusammen.“ Verdammt, wieder hatte er etwas ausgesprochen, was er eigentlich nur gedacht haben wollte. „Wieso? Wieso brichst du zusammen?“ „Ja, neh, ein schöner Name einfach.“ brabbelte er vor sich hin, bekam dann aber doch noch die Kurve mit: “Und insofern passt er zu ihnen, äh, zu dir!“ Da war es wieder, ihr obercharmantes Lächeln. Ihm war, als würden rosa Herzen von ihm aufsteigen und zu ihr rüberschweben. “Und dein Nachname?” Mist, im selben Moment fiel ihm ein, dass sie das vielleicht als zu aufdringlich empfinden könnte. “Benoit, ich heisse Angelique Benoit. Jetzt noch Adresse, Gewicht, Beruf?” “Entschuldige bitte, ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich würde gern noch einen Kaffee bestellen, möchtest du auch noch einen? Ich mein, auf einem Bein kann ja schlecht stehen.“ Oh nein, verdammt. Scheiße. SCHEISSE. 

“Ich weiß, geht aber.” 
Schweigen. “Ja, klar, Entschuldigung.“ Sie nahm seine Hand, aber nur kurz. Und sie lächelte, auch nur kurz. Hatte er jetzt alles versaut? Er wollte im Boden versinken. “Bitte,” sagte er, “einen Moment bitte, bitte nicht weggehen.” 
Er sprintete zum Blumenladen direkt gegenüber: “Ich möchte einen exzellenten Blumenstrauß, der Preis spielt keine Rolle. Bringen Sie ihn bitte nach dort drüben, ja? Wir sitzen dort. Vielen vielen Dank!” Er legte einen großzügig bemessenen Geldschein auf den Tresen: “Stimmt so.” Und so antwortete die Blumenfrau: “Aye, Aye, Sir, wird gemacht.” 

Zu Hause angekommen dachte er: Cool, wenn wir heiraten übernehme ich ihren Namen. Zweifelsohne war er nicht mehr ganz bei Trost. 

Dann schlug er sich völlig überraschend selbst volle Kante in die Fresse und brach zusammen. Weniger von dem Schlag selbst, eher von der Welle, die jetzt über ihn hereinbrach. Er schwebte über sich selbst. Sein Alter Ego. 
“Dombrowski, was ist los, hat dir der Schlag wehgetan?” Dombrowski zitterte, hatte Angst. 
Wer bist du? 
Ich bin du und du bist ich. 
Ich kenne dich nicht. 
Aber jetzt wirst du mich kennenlernen - Dombrowski! 
Er hatte seinen Namen geschrien, dass die Wände wackelten. 
Dombrowski rollte sich zusammen und fing an zu wimmern. 
Dombrowski, unser Name gefällt dir nicht. Die Musik im Supermarkt sagt Dir auch nicht zu. Der Kleidungsstil deiner Kollegen missfällt dir. Und jetzt meinst du auch noch, durch eine illusorische Heirat kannst du deinen Namen loswerden, Prioritäten setzen, was? Dombrowski! 
Das jemand überhaupt so laut schreien kann. 
Eine Frage Dombrowski: Möchtest du dich beschweren? Möchtest du dich nicht vielleicht darüber beschweren, dass sie nur ein Bein hat? Nur zu. Ein Bein gegen einen anderen Nachnahmen, was? Dombrowski, ist das der Deal? Erkennst du da vielleicht irgendeine Art Ungleichgewicht? 
So bin ich nicht. 
Ach, so bist du nicht. Na, dann ist ja gut. 
Ich schäme mich. 
Zu recht. Kannst du freundlich sein Dombrowski? Kannst du lächeln? 
Ich, ich äh.. hilfst du mir? fragte er mit tränenerstickter Stimme. 
Wird nicht leicht, aber, was bleibt mir anderes übrig. Aber nur wegen ihr. Sie ist es wert. Sonst wäre ich nie in Erscheinung getreten. 
Danke. Können wir Freunde werden? 
Puh, frag mich mal was leichteres. Wir müssen die ganze Nörgelsülze loswerden. 
Ok, aber eins muss ich jetzt mal sagen: Das mit dem Bein ist mir doch zuerst gar nicht aufgefallen. Außerdem wusste ich ihren Namen doch vorher gar nicht. Mich hat Amor’s Pfeil getroffen. Höchstdosis. 
Kann sein. 
Also tue mir da bitte nicht Unrecht. 
Na gut. 
Und noch was Mr. Edelmut: Sonst wäre ich nie in Erscheinung getreten, blabla, nur wegen ihr. Der Herr gibt sich die Ehre. Du willst sie auch und darum bist du aus deinem Loch gekrochen. 
Du hast ja schon wieder ganz schön Oberwasser, muss ich hier noch mal rumbrüllen? 
Nein, bitte nicht, die Nachbarn dürften sowieso schon reichlich geschockt sein. 
Dann arbeiten wir also ab jetzt zusammen? 
Abgemacht. 
Übrigens, … 
So ging das die ganze Nacht. Dombrowski freundete sich an. Mit Dombrowski.

 


© 2022 by Francesco Slowdown. Geschrieben am 27. Juni 2022.