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Der Traum 

Ich habe von Joseph Haydn geträumt. In diesem Traum sagte er: ”Ach, ich wünschte, der Stresow würde schon leben, dann könnte er vielleicht ein paar von meinen Nummern auf der Gitarre einspielen.” Seine im Gegensatz zu ihm selbst stets realitätsbezogene Frau wies ihn sogleich darauf hin, dass das schwierig werden könnte. Weil, wie sie erläuterte, Mikrofone ja noch gar nicht erfunden waren. Darauf hin bekam Haydn einen Frustrationsanfall und trank eine halbe Flasche Jägermeister, gleich aus der Flasche. Seine Frau konnte dazu nur mit dem Kopf schütteln. Im übrigen wies sie ihn darauf hin, dass es Jägermeister auch noch nicht gab. Das ließ Haydn allerdings nicht durchgehen, denn bei Jägermeister (und Marzipankartoffeln) verstand er keinen Spaß. Bevor es darüber schon wieder zu einem Streit kommen sollte, ging seine Frau lieber nach schräg gegenüber auf einen Prosecco zu ihrer Freundin. Er aber sah danach nicht nur alles doppelt, sondern sogar vierfach. Und so setzte er sich hin und schrieb ein Quartett, dass Kaiserquartett. Auch bekannt unter dem Namen: „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. Haydn war also auch auf diesem Gebiet seiner Zeit voraus und damals schon Fußballfan. 

Ein paar 100 Jahre später sind nun Mikrofone bereits erfunden und es gibt inzwischen auch noch das Internet. Und so kann ich schöne Dinge aufnehmen und sie euch per Internet nahe bringen. 

Das Arrangement zu meiner Interpretation vom Kaiserquartett stammt von meinem sehr geschätzten deutschen Komponistenkollegen Jörg Pusak. Er hat nicht nur etliche tolle Kompositionen für Gitarre geschrieben, sondern auch eine vierbändige Gitarrenschule entwickelt. Er verfügt wie ich über eine jahrzehntelange Erfahrung im Unterrichten von Gitarre und das fliesst natürlich in sein Gitarrenlehrwerk mit ein. Es ehrt mich, dass er in darin auch Kompositionen von mir aufgenommen hat. Der fachliche Austausch mit ihm ist mir eine Freude. Und er gibt mir ab und an Tipps über interessante Titel, die er praktischerweise meist auch schon arrangiert hat. Wie bitte? Ach ja, die Musik. Ich habe zudem auch noch den ebenfalls schon sehr alten Titel “Morgen Kinder,wird‘s was geben“ für drei Gitarren arrangiert und eingespielt. Hier geht‘s lang zum Anhören, bitte nicht drängeln. Jeder kommt dran und es ist genug Glühwein für alle da:

https://mariostresow.com/compositions-of-others

Die Marzipankartoffel 

Lange habe ich auf Zeit gespielt. Doch nun ist das Drängen meiner Leserschaft zu groß geworden, zum Thema endlich Stellung zu nehmen.

Die Marzipankartoffel ist gesellig, sie tritt so gut wie immer in Gruppen auf, meistens in Tüten. Einzeln eigentlich nur, wenn mal eine herauskullert, zum Beispiel unter den Fahrersitz. Denn bei vielen Menschen ist es in der kühleren Jahreszeit fester Bestandteil des Tages, sich auf dem Weg von oder zur Arbeit, zu Oma oder zum Seitensprung unterwegs noch schnell im Supermarkt mit Marzipankartoffeln zu versorgen. Bei den gierigeren in dieser Personengruppe kann man auch sagen: Sich damit vollzustopfen. Diese reißen dann gleich im Fahrzeug hektisch die Tüte auf und schwupps, ist es passiert. Das bringt mich direkt zu der Frage: 

Wie isst man die Marzipankartoffel? 

Wenn sie allein sind können Sie das natürlich so tun oder lassen wie sie wollen, wovon sie ja wohl auch auf allen anderen Gebieten reichlich Gebrauch machen. Aber nun geht es um: 

Die Marzipankartoffel im gesellschaftlichen Leben 

Hier haben sich zwei Lager herausgebildet, die sich leider recht unversöhnlich gegenüberstehen. Ja man kann sogar sagen, dass sie völlig inkompatibel sind. Ich möchte Ihnen daher an dieser Stelle den dringenden Rat geben: Achten Sie bei den beiden unterschiedlichen Verzehrempfehlungen genau darauf, in welchen Kreisen sie sich befinden. 

Die Verzehrempfehlung der zivilisierteren Gruppe lautet so: 

Sie legen eine ausgewählte Marzipankartoffel zunächst auf einen kleinen Beistellteller neben das Heißgetränk. Dieses kann Kaffee, Tee oder  alkoholfreier Glühpunsch sein. Sodann wird die Marzipankartoffel mit abgespreizten kleinen Finger in eine Hand genommen und hälftig durchgebissen. Eine Hälfte wird zunächst wieder zurück auf den Beistellteller gelegt. Perfekt benehmen Sie sich, wenn sie die Marzipankartoffel dabei mit der entstandenen Bissfläche auf den Teller legen und ganz leichten Druck ausüben. So erkennt man keine Abdrücke von ihren Zähnen, auch nicht, wenn sie später die zweite Hälfte aufnehmen, um diese ebenfalls zu sich zu nehmen. Sie nehmen jetzt die Marzipankartoffelhälfte in den Mund und überspülen sie mit etwas Getränk. Ganz leicht durchgekaut wird dann damit - bitte nur kurz - quasi die Mundhöhle durchspült und danach heruntergeschluckt. Jetzt folgt der Kommentar: „Köstlich“, wobei ihr Gesichtsausdruck dieses Empfinden ebenfalls widerspiegelt. Mit der zweiten Hälfte verfahren Sie genau so, verwenden aber ein alternatives Wort, zum Beispiel: „Süperb”. 

Nun zur zweiten Verzehrempfehlung: 

Hier wird die Ansicht vertreten, dass man Marzipankartoffeln nicht isst, sondern sich damit rigoros vollstopft. D.h. mit anderen Worten, die Aufnahme erfolgt tütenweise. Dabei wird zum Stil passend die Tüte nicht grossartig aufgeschnitten sondern kurz und kräftig aufgerissen. Achtung, hier muss die Gier zumindest noch mal für den Moment unter Kontrolle gebracht und das Aufreißen geschickt abgebremst werden. Denn ein zu heftiges Aufreißen sorgt dafür, dass mehr oder weniger viele von den Marzipankartoffelnkugeln zu Boden fallen. Trainieren Sie das bitte zu Hause vor, denn wenn sie sich an dieser Stelle blamieren, kommen sie auch später nicht mehr in den Kreis rein. Dann geht es aber auch schon los: Sie setzen die Tüte an den Lippen an und schütten sich den Inhalt in den Mund. Im Idealfall schaffen sie die ganze Tüte. Jetzt wird kauend darauf rumgemanscht und bei vielen stellt sich dann alsbald ein leicht irrer Gesichtsausdruck ein. Bei manchen hört man wildschweinartige Geräusche und/oder es tritt ein Teil der vermanschten Masse wieder aus dem Mund aus. Bitte mit beiden Händen nachstopfen und diese danach am Ärmel des Nachbarn abwischen (Über den Stuhl gehängte Jacke geht auch). Gespräche finden bei dieser Art des Verzehrs grundsätzlich nicht statt. 

Jetzt noch die Getränkefrage: Anders als bei der vorigen Verzehrempfehlung gibt es diesmal keine Auswahlmöglichkeiten. Gereicht wird eine warm gemachte Glühwein-Jägermeister-Schorle in großen Bechern. Bevor das Aufreißen der Tüten vom Gastgeber mit einem lauten „Go!“ eröffnet wird trinkt man davon einen auf Ex. Im weiteren Verlauf geziemt es sich, mit der Aufnahme dieses Getränks nicht zu sparsam umzugehen. Kommt es doch noch zu einer Kommunikation, so geht es meist um die Frage, wer eigentlich wie heißt. Denn oft vergessen die Beteiligten während des Procedere auch ihren eigenen Vornamen und dann wird darum teilweise heftig gestritten. Beenden tun Sie Ihre Teilnahme in der Regel, in dem sie vom Stuhl fallen oder in der leiseren Variante auch vom Stuhl gleiten. 

Soweit die bestehenden Verzehrrichtlinien, nun können Sie sich also in allen Kreisen sicher und adäquat bewegen. 

Anders als die Verwandte Spezies Rumkugel tritt die Marzipankartoffel nicht ganzjährig in Erscheinung, sondern eher ab Herbst bis hin zu Weihnachten. 

Dann allerdings weiß sie zu betören durch ihre Versprechungen wie: Ich bin klein, weich und formbar, ich fasse mich samtig an und verbreite im Mund ein herrliches Aroma. Denn ich werde aus Mandeln, Rosenwasser und Zucker hergestellt und bestäube mich extra für dich mit einer sehr speziellen Mischung aus Kakao und Zimt. Und ich bin für wenig Geld zu haben. Insofern ist es kein Wunder, dass die Marzipankartoffel inzwischen für viele zu einer Obsession geworden ist. Ihre Kombinationsfreudigkeit mit Kaffee und insbesondere Glühwein verstärkt diesen Effekt noch. 

Bei einer kürzlich durchgeführten Umfrage der Bundesregierung zum Thema Marzipankartoffel stellte sich heraus: Ähnlich wie es in der Tierwelt die Eichhörnchen tun bunkern inzwischen viele Menschen an verschiedenen Plätzen Tüten mit Marzipankartoffeln, so zum Beispiel am Arbeitsplatz, im Auto aber auch zu Hause.  Was Handtaschen und die Bekleidungstaschen angeht gaben mehr als 60 % der Befragten an, stets Marzipankartoffeln bei sich zu haben. 

Ihren Namen bekam die Marzipankartoffel von der Speisekartoffel, weil man eine gewisse Ähnlichkeit sah. Was ich mir überhaupt nicht erschliesst. Schließlich wird die Kartoffel auch Erdknolle genannt, ein Name, welcher aufgrund ihrer Erscheinung auch zu ihr passt. Aber die Marzipankartoffel ist doch viel kleiner und anmutiger in ihrem Erscheinungsbild. 

Gibt es Rezepte mit der Marzipankartoffel? 

Weil die Speisekartoffel vielfältig zubereitet wird hat man etliches davon auch mit der Marzipankartoffel versucht. Aus ihr Kartoffelsalat oder Bratkartoffeln zu machen konnte sich jedoch nicht durchsetzen. 

Einzig die Marzipankartoffelsuppe ist im Norden ein fester Bestandteil der winterlichen Küche. Stolz darf ich an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass ich dieses Gericht erfunden habe. Die Zubereitung ist denkbar einfach, hier das Rezept (für 2 Personen): 

Zutaten: 2 Flaschen Jägermeister, 6 Tüten Marzipankartoffeln. 

Die zwei Flaschen Jägermeister in einen Topf laufen lassen und dann die Marzipankartoffeln dazu tun. Beim Reinschütten den Beutel mit den Marzipankartoffeln nicht zu hoch über den Topf halten, sonst spritzt es. 

Das ganze dann vorsichtig erhitzen, aber bitte nicht aufkochen lassen! 

Die mobile Variante: Die Marzipankartoffeln mit einem Pürierstab pürieren und dann die Suppe in eine Thermosflasche abfüllen. So können Sie sich auch was für die Arbeit oder zu Oma mitnehmen. 

Soweit meine Exkursion in das wie Sie sehen interessante Gebiet der Marzipankartoffelthematik. In der nächsten Ausgabe geht es wieder um ein brisantes Thema und den aktuellen Stand darüber. Führende Kardiologen haben sich hierzu in jüngster Zeit zum Teil widersprüchlich geäußert: 

Lebkuchenherzen – zur Transplantation geeignet?

Übrigens: Wenn man viele Marzipankartoffeln und Lebkuchenherzen etc. gegessen hat ist es gar nicht schlecht, sich dann auch mal wieder etwas zu bewegen:

https://mariostresow.com/single/23192/move-your-hips

Bleiben Sie mir gewogen, Mario Stresow.

Leben und Tod 

Das klingt wie Kaffee und Kuchen. Apropos, kann ich noch ein Stück haben? Nein, das geht jetzt nicht und beiläufige Scherze sind im Moment auch nicht am richtigen Platz. Das spricht mir gerade der Redaktionsleiter mahnend ins Ohr. Es geht schließlich um - richtig: Leben und Tod. 

Klingt als Kombination geläufig. Doch bei näherem Hinsehen kommen Fragen auf: Das Leben, okay: Von seiner Entstehung durch einen womöglich freudigen und lustvollen, wenn nicht gar ekstatischen Akt (bei dem sich die Nachbarn hinterher noch beschwert hatten) über das dann folgende gravierende Ereignis der Geburt geht es schnurstracks zum Durchleben des Lebens mit seinen Phasen der Kindheit, der Jugendlichkeit, des Erwachsenenalters und schließlich des Greisentums. Soweit, so klar, das ist das Leben. Zum Schluss wird es durch Sterben beendet. Gebongt. 

Kommen wir jetzt zum Tod. Und da wird es komisch. Wenn man stirbt ist man danach tot. Cut und Schluss, kann sich aber auch hinziehen. Jedenfalls tritt der Tod mit dem Sterbevorgang ein und das war's. 

So gesehen ein Riesenunterschied zum Leben. Das Leben geht durch viele Jahrzehnte. Da gibt es Entwicklung. Da wird gefühlt, geliebt, da gibt es Freude und es wird gelitten. Da gibt es Ereignisse und Entscheidungen, Zufälle und Überraschungen. Und in der Vorweihnachtszeit sogar Marzipankartoffeln. Viel los also, was einen prägt und worüber es Fotos, Filme und Schriftstücke gibt. Manchmal auch Bilder, Gedichte und Kompositionen. 

Und dann der Tod. Da soll man einfach nur tot sein und danach ist nichts mehr? Wieso, könnte man sagen, ist doch gut. Auf der einen Seite ist viel los und auf der anderen Seite ist dann nichts mehr. Also muss man auch nichts mehr tun, nichts mehr leisten, keine mehr Tests bestehen, keine Schwierigkeiten mehr überwinden -  man muss überhaupt nichts mehr und hat seine Ruhe. Prima, dass lassen wir so stehen. Soweit würden ja auch noch Ausdrucksweisen wie „Ruhe in Frieden” und „Ewige Ruhe” passend sein. Aber denkste. 

Jetzt kommen Fantasien ins Spiel. Verständlich, weil mancher sich nicht vorstellen kann oder will, dass einfach nur so Schluss ist und dann nichts mehr. Prinzipiell finde ich Fantasien auch interessant. Aber manche dieser Hirngespinste werden Religionen genannt. Und die sind unsympathisch, gelinde ausgedrückt. Denn bei diesen Konstrukten wird mit Repressalien und Vorschriften im Diesseits bei Folterandrohung im Jenseits gearbeitet. Also hat man nach dem Ableben mitnichten seine Ruhe. Vielmehr kommt man vor das jüngste Gericht. Und dort wird entschieden: Himmel oder Hölle. 

Bei nicht ganz so schlimmen Vergehen kommst du zwar vielleicht noch in den Himmel, kannst dort aber nur Wolkenshampoonierer werden. Oder du musst dich um die Schmutzwäsche der Engel kümmern. 

Dann ist da noch die Fantasie, dass der Tod nicht einfach nur durch das nicht mehr hinreichende Funktionieren lebenswichtiger Organe eintritt. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass einen jemand holt: Der Sensenmann. Unheimlich. Aber bei weiterem Bedenken schon sympathischer. Denn wenn es soweit ist würde ich mir zum einen wahrscheinlich erst mal ausführlich in die Hose machen. Aber dann würde ich es vielleicht doch noch schaffen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Ich könnte ihm Bier und Frikadellen anbieten und möglichst beiläufig eine Terminverschiebung thematisieren.

Zum Thema gibt es hier mein aktuelles Stück:
https://mariostresow.com/videos

Sexy Lover 

Man kann einen haben oder sich einen halten. Manche zahlen dafür. Und es gibt noch mehr Möglichkeiten: Es muss ja gar nicht unbedingt ein menschliches Wesen sein. Ladies bevorzugen mitunter die batteriebetriebene Variante in Form eines kleinen elektrischen Gerätes. Dieses kann bequem in der Handtasche verstaut werden und insofern auch mal hinterm Schreibtisch oder ganz hinten im Bus zur Anwendung kommen, sofern wenig los ist. Die misstrauischen Blicke des Fahrers in den Rückspiegel erhöhen dabei nur den Reiz. 

Männer hingegen präferieren auf dem Gebiet mitunter eine aufblasbare Version. Sie wird danach liebevoll zusammengefaltet und dann bis zum nächsten Mal sorgfältig an ihrem Platz verstaut, im familiären Verbund kann man auch sagen: Versteckt. 

Da fällt mir die Story ein, welche mein Freund Torsten im letzten Jahr erleben musste: Wie üblich fuhr er mit dem Auto von der Arbeit nach Hause. Als er in seine Straße einbog sah er schon das Geschehen auf dem Grundstück seines Hauses. Es war Sommer und seine zwei Kinder spielten im Pool und zwar - das war es, was ihn augenblicklich schockierte: Mit Nancy. 

Nancy im betriebsbereiten Zustand, sprich prall mit Luft gefüllt. Sie hatten sie also gefunden, scheisse. Er hatte das Versteck für sehr gut gehalten, aber man weiß auch nie, wo die Gören sich überall rumtreiben. Das wusste er schließlich aus seiner eigenen Kindheit und Jugend. Jetzt machten sie sich ihren Spaß damit. Auch einige aus den angrenzenden Grundstücken herüberschauende Nachbarn jauchzten, die direkten Nachbarn filmten mit ihren Smartphones. 

Er fuhr an der Einfahrt vorbei und hielt um die Ecke. Nervös kramte der er im Handschuhfach, da musste noch eine Schachtel Zigaretten sein. Ja, ein Glück, gefunden, auch das Feuerzeug. 

Er hatte Nancy schon länger in Betrieb. Immer noch die erste, obwohl es inzwischen neuere Modelle mit einigen interessanten technischen Innovationen gab. Er hatte sich an Nancy gewöhnt und sich auf sie eingeschossen, ihr auch diesen Namen gegeben. Er hatte sie immer pfleglich behandelt und sauber gehalten. Jetzt war er sich nicht mal sicher, ob sie es unbeschadet überstehen würde, so wie die Kinder sie gerade traktierten. 

Meine Güte, er hatte manchmal währenddessen und sogar auch danach mit ihr gesprochen. Also, genau genommen hatte er ja nur gesprochen. Wie er sich fühlt, und wie er die Dinge sah. Verschiedenste Dinge. War das noch normal? Was heißt schon normal, auch zwischen Eheleuten gibt es schließlich durchaus längere Wortbeiträge, die letztenendes auch nur Monologe sind. 

Er wollte sich gerade die dritte Zigarette anstecken, da zuckte er zusammen, weil es an der Scheibe klopfte. Seine Frau. Sie hatten bereits Blickkontakt, als sie noch einmal gegen die Scheibe klopfte, denn er hatte das Fenster noch nicht geöffnet. Nun lies er es endlich runter und sie sagte: „Moin, der Herr”, wobei sie den austretenden Qualm mit ihren Händen wegwedelte. Er war inzwischen knallrot angelaufen und brachte nur ein: „Ich, ääh ..” raus. Worauf sie ziemlich krabitzig entgegnete: „Und ich erst mal.“ Damit war anscheinend vorerst alles gesagt und somit das Gespräch beendet, denn jetzt marschierte sie schnurstracks wieder Richtung Haus. 

Finden Sie nicht auch, dass Torsten ein ziemlich enger Freund von mir sein muss, wenn ich das alles von ihm weiß? Oder gibt es diesen Torsten gar nicht und ich hab das wie üblich alles erfunden? Oder handelt es sich bei diesem Torsten um meinen Vater und ich war damals eines der spielenden Kinder? Ist es am Ende gar eine autobiografische Geschichte? Kritische Fragen, denen ich mich eines Tages stellen werden muss. Aber nicht jetzt, zurück zum Thema: 

Wieder andere träumen nur davon, so jemanden oder so etwas zu haben. Diejenigen sind auch völlig zufrieden damit, denn in echt wäre es vielleicht doch zu aufwändig. Manchmal auch zu gefährlich, riskant und konsequenzenbehaftet: Viele von uns sind langjährig verbandelt, oft mit den entsprechenden Gegebenheiten in Form von Nachkommenschaft und gemeinsamen Hausbesitz, siehe Torsten. Da muss man nicht unnötig was aufs Spiel setzen. 

Hinzukommt, ob verbandelt oder nicht: Nicht alles, wovon man träumt, ist überhaupt für eine Umsetzung in echt gedacht. Schließlich kann man auch einfach nur die Gedanken schweifen lassen, während die geübten Finger ihr Handwerk von feinfühlig bis rasant verrichten. Vielleicht erinnern sich einige von euch noch an die Schlagerzeile: “Du bist nicht allein, denn du hast ja deine Fantasie ...” 

Ich habe mich der Thematik und zwar, wie ich an dieser Stelle betonen möchte, ausschließlich in Geschichten- und Liedform genähert. Dabei hab ich hart daran gearbeitet, wenigstens den Liedtext auf das nötigste zu komprimieren, aber hören Sie selbst:

https://mariostresow.com/single/21780/sexy-lover

 

König Bruno, der Fragwürdige 

Nicht alle von euch wissen, dass ich vor ein paar hundert Jahren schon einmal gelebt habe. Damals herrschte noch „König Bruno, der Fragwürdige“. Ich war sein Hofmusikant und spielte die altgermanische Wurfzither. Ein sehr praktisches Instrument, mit dem man einerseits Musik machen, andererseits durch gezielten Wurf aber auch Tiere erlegen konnte. Die zweite Eigenschaft habe ich bei meinem damaligen Konzerten etwas abgewandelt verwendet. Wenn ich den Eindruck hatte, dass jemand im Publikum nicht richtig konzentriert zuhörte gab es einen gezielten Wurf in die Richtung. Ein bisschen lästig waren die dadurch eintretenden Pausen, weil ich das Instrument ja erst wiederholen musste und die entsprechende Person von meinem persönlichen Assistenten an einem Bein gepackt aus dem Saal geschleift wurde. 

Mich nannte der König deswegen „King Lui auf dem Marktplatz”. Weil ich mich seiner Meinung nach durch solches Vorgehen bei den Konzerten und auch sonst öfters so aufführte, als wäre ich eigentlich der König. Das konnte sich außer mir damals niemand am Hof erlauben, und es zeigt, wie sehr der König mich bzw. meine Kompositionen schätzte. 

Allsonntäglich hatte ich ein neues musikalisches Werk abzuliefern, welches dann vor einem ausgesuchten Kreis von Damen aus der Bevölkerung aufgeführt wurde. Zum Rekrutieren dieses Kreises schwärmte an jedem Samstag ein speziell ausgebildeter Mitarbeiterstab aus. Dieser bestand aus Männern und Frauen und sie alle gehörten zum engsten Kreis des Königs. Auf den Märkten der Region hielten sie Ausschau nach Damen, welche einen gewissen Charme versprühten, Individualität ausstrahlten, sowie gern auch sonst irgendwie eigenartig schienen. 

Natürlich wurmte es die Damen der Aristokratie enorm, dass sie nicht zu diesen Konzerten eingeladen wurden. Indes hatten diese Damen allerdings meist nicht die soeben erwähnten vom König so geschätzten Charakterzüge. Zudem sagten manche, der König wolle mit seinem Vorgehen eine gewisse Volksnähe herstellen und dem stumpfen Volk auch etwas Kultur nahebringen. Andere wiederum behaupteten, der König käme selbst aus dem unteren Volk und wäre gar nicht der rechtmäßige Thronfolger. Er sei also gar nicht der Sohn seines Vorgängers „König Peter, der ganz Kleine“ und würde deshalb „König Bruno, der Fragwürdige“ genannt. 

Ein paar von seinen „buckligen Kumpels“, wie der König diejenigen Männer nannte, welche er als seine Freunde einschätzte, durften ebenfalls den Konzerten beiwohnen. Diese Männer hatten meist enorme Fähigkeiten. Einer, von Haus aus eigentlich Trompeter, konnte zum Beispiel unglaublich laut rülpsen und gleichzeitig ebenso laut furzen. Über die Jahre hatte er diese Fähigkeit als eine Art Hobby ausgearbeitet. Angesichts der brachialen Lautstärke konnte man mitunter gar nicht unterscheiden, was was war. Während dies bei den Männern für Lachsalven und Respekt sorgte schauten sich die anwesenden Damen meist doch recht pikiert an. Eine hat sich sogar mal spontan übergeben. Seitdem durfte der Trompeter sein Hobby zu seinem Bedauern nicht mehr vorführen. 

Eines Tages bat mich der König zum diskreten Gespräch und fragte mich, was ich denn von ihm sowohl als Mensch aber insbesondere auch als König halten würde. Es ging darum, das es ja die Bevölkerung war, welche ihm den Titel “König Bruno, der Fragwürdige” gegeben hatte. Ich entgegnete: „Nun, .....“ Mir war sonnenklar, dass die gerade stattfindende Formulierungspause nicht besonders lang ausfallen durfte. Der König hatte erst kürzlich ein Krokodilbecken einrichten lassen. In dieses ließ er künftig unliebsam gewordene Mitarbeiter kurzerhand hineinwerfen. König Bruno mochte mich zwar sehr, aber bei ihm wusste man auch nie genau, wo der Hammer gerade lang schwang und wen er treffen würde. Erst kürzlich hat sie sich ein Diener des Hofstabes ein Gähnen verkniffen, während der König eine Anprache hielt. Dies mitbekommend lies ihn der König wegführen und kurze Zeit später färbte sich das Wasser im Krokodilbecken rot. Die Tiere bekamen kein anderweitiges Futter, insofern war ein zügiges Ableben garantiert. 

König Bruno‘s Blick ruhte abwartend auf mir. Er sah meine feuchte Stirn und ich bemerkte, wie mir Schweißtropfen den Rücken runterliefen während ich fortfuhr: „... ich komponiere Euer Impertinenz eine wunderbare Musik und die Töne und der Titel sagen alles über Euer Hochwohlgeboren!“ Dazu muss man unbedingt wissen, dass König Bruno keine Fremdwörter kannte und auch kein Englisch konnte. Beides würde er allerdings niemals zugeben und er tat immer so, als hätte er alles verstanden. Der König schürzte also die Lippen, richtete seine seine Augen wie kurz nachdenkend nach oben rechts und links und sagte: „King Lui, du alter Tonwühler, immer im Reich der Töne, was? Mache er sich an die Arbeit!“ Uff, gerade noch mal die Kurve gekriegt. Das Leben am Hofe war bisweilen nicht ohne Tücken. 
Den Sonntag drauf erklang dann diese Musik:
https://mariostresow.com/single/20938/you-are-what-you-are